Ohne Endscheiben
Die Schwaben nennen ihn Giggel, der Pfälzer sagt Knorze, die Südthüringer bezeichnen ihn liebevoll als Küppel und die Bayern haben ihn Rumptschn getauft. Ich meine den Knust, also zumindest heißt das Teil für mich so, denn ich habe es in meiner Kindheit so gelernt. Es ist das Endteil (oder Anfangsteil, je nach Sichtweise) eines Brotes.
Wikipedia sagt: „Dass überhaupt ein Ausdruck für diesen Teil des Brotes existiert, ist darauf zurückzuführen, dass der Anschnitt eines frisch gebackenen Brotes sehr begehrt war, während das erst nach mehreren Tagen zu verbrauchende Endstück bereits hart und trocken war und oftmals in Flüssigkeit eingetaucht werden musste, bevor man es verzehren konnte.“
Heute morgen denke ich zum ersten Mal über dieses Endstück nach, denn – es fehlt!
Sie müssen wissen: Bei uns wird der Knust immer gerne bis zum Schluss des Brotes im Brotkorb gelassen. Außer mir isst das Teil irgendwie keiner, was ich nicht verstehen kann, denn es ist doch gerade am Knusprigsten, also esse ich es mittlerweile als Erster. Ich glaube, es ist einfach nur eine Frage der Einstellung, zumindest jedoch eine Erziehungsfrage. Meine Schwester hat ihrer ältesten Tochter immer schmackhaft gemacht, dass die Haut auf erwärmter Milch etwas Besonderes ist – und seitdem liebt sie es schon als Kleinkind. Andere laufen davor weg und ekeln sich.
Ich stehe also heute morgen so in der Küche rum, bemüht, etwas mit mir anzufangen und blinzle verschlafen in Richtung eines potenziellen Frühstücks. Eier sind alle, die hab ich alle zehn Stück am Sonntagmorgen zu Rührei verarbeitet (musste sein, mein Freund Michael hat 50. gefeiert). Müsli ist eine Option, aber das gibt es eh jeden Tag. Aber Toast ist im Haus. Ich bin skeptisch, denn Weissmehlpappe ist für mich nur ein Not-Start in den Tag, denn da ist ja weniger nahrhafte Information für meinen Körper und meinen Geist drin, als in Donald Trumps Haarspray.
Ich gucke mir also das Toastbrot an und entdecke auf einmal die Lösung eines großen Problemes der Menschheit: KEINE ENDSCHEIBEN steht dort in Großbuchstaben als Eye Catcher. Endlich, nie wieder die Endstückdiskussion – zumindest nicht mehr beim Toast.
Ich habe dazu neulich einen Test gemacht und in einer anderen Packung Toast das Endstück einfach umgedreht und wieder zu den anderen Scheiben Toast gelegt – und schon war es bei der nächsten Toasterbefüllung im glühenden Rachen der Aufheizmaschine verschwunden – ha! Überlistet! Ich glaube, das mit diesen Endscheiben ist einfach wie mit Spinat – den mögen Kinder nicht, weil den alle Kinder nicht mögen – und da muss man als Kind mitmachen, sonst ist das schmerzhafte Gefühl der Nichtzugehörigkeit zu groß. Und wie mit den Wirtschaftsweisen – wenn die sagen, dass die Wirtschaft schlecht wird, muss das stimmen und dann lassen auch alle gemeinsam die Köpfe hängen und dann trifft das natürlich auch so ein. Rolf Dobelli stellt die Frage, ob wir uns eher als Wächter unserer Gedanken sehen oder als deren Gefangenen. Ich glaube, wir Menschen befinden uns derzeit in einer Form des kollektiven Dauerschlafes. Verschnarchte Amerikaner wählen ein plärrendes Gör zu ihrem Präsidenten, die Türken lassen sich von einem egozentrischen Möchtegerngroß kleindenken und die Nordkoreaner bekommen nichts zu fressen (wahrscheinlich nicht mal Endscheiben), weil der Sohn vom Vater jeden menschenverachtenden Gedanken übernommen hat, den er zu hören bekam und damit sich dumm und sein Volk hungrig hält. Ok, die Frisur ist cool, der Rest großer gefährlicher Müll. Schade eigentlich, dass Berlusconi weg vom Fenster ist, der hatte ja wenigstens noch Unterhaltungswert.
Meine laut formulierte Bitte an die nahrungsmittelherstellende Industrie in meinem Land: Werbt doch bitte FÜR Endscheiben! Und meine Bitte an meine Landsleute und Landsleutinnen: Sind wir denn schon so satt, dass wir uns jetzt auf den Verpackungen erzählen lassen, was NICHT drin ist? Haben wir denn wirklich schon 70 Jahre nach der letzten Hungersnot vergessen, unsere Lebensmittel zu schätzen, als dass wir jetzt die Endscheibe als lästiges Abfallprodukt der Nahrungsmittelproduktion hinstellen?
Ich fordere: Mehr Endscheiben für Deutschland! Und um 10 Uhr ein Knoppers auf dem Bau – damit die Wirtschaft in Schwung kommt und wir uns alle wieder an einem ordentlichen Knust erfreuen können.